9. und 10. November 1938, Pogrom im Deutschen Reich

Der staatliche Antisemitismus des NS-Terrorregimes fand im Novemberpogrom des Novembers 1938 seinen zerstörerischen Höhepunkt.
Entwicklung ab 1933
Schon im April 1933 erfolgten die ersten Verfolgungsmaßnahmen. Mit 1. April der „Judenboykott“, der darauf abzielte dass jüdische Firmen und Geschäfte von „Ariern“ boykottiert wurden. Mit 7. April wurde das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen. Dies sah die Entlassung aller „nichtarischen“ Beamten vor und führte dazu, dass Universitäten, Schulen, Gerichte und Verwaltungsdienststellen „gesäubert“ wurden.

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Brennende Synagoge in der Münchener Herzog-Rudolf-Straße (c) Bundesarchiv Deutschland, Bild 146-1970-041-46 / CC-BY-SA

 Im Sommer 1935 wurden mit den „Nürnberger Gesetzen“ die Bürgerrechte der Juden extrem eingeschränkt. So erfolgte auf dieser Basis die Einteilung in „Volljuden“ und „jüdische Mischlinge“. Juden war es unter anderen verboten öffentliche Parkanlagen zu betreten, bzw. auf den Parkbänken zu sitzen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln mussten sie in separaten Wagons sitzen bzw. war es ihnen verboten diese zu benützen, Ärzte durften keine „Arier“ mehr behandeln, Rechtsanwälte keine „Arier“ vertreten, Haustiere wurden verboten und Schüler, schon im Volksschulalter, in eigenen „Judenklassen“ unterrichtet.

 Ebenfalls 1935 wurde über Anordnung der Gestapo die Einrichtung einer reichsweiten „Judenkartei“ angeordnet, um die deutschen Juden regional und lokal zu erfassen und zu überwachen.

 

Radikale Verschärfungen ab 1938:

 Nach dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März, galten auch hier die reichsdeutschen Gesetze. In den Tagen des „Anschlusses“ kam es in Wien und vielen anderen Städten zu „wilden Arisierungen“ von Geschäften, Firmen und Wohnungen durch die Bevölkerung. Um diese zu stoppen wurde am 13. April von Reichskommissar Bürckel Kommissare, per Gesetz, zu neuen Eigentümern gemacht.

Hintergrund war damit zu verhindern, dass Vermögenswerte dem Staat bzw. der NSDAP verloren gehen.

 Am 28. März wurden den Israelitischen Kultusgemeinden der Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ entzogen. Dies hatte zur Folge, dass sie zu Vereinen mutierten und deren Gebäude und Einrichtungen kein staatlicher Schutz mehr zustand.

 Mit 26. April erließ Göring ein Gesetz, dass alle Juden des Reiches zwang ihr gesamtes Vermögen, sofern es 5.000,- Reichsmark überstieg, detailliert beim Finanzamt offen zu legen.

Ab dem 23. Juli mussten Juden „Kennkarten“ bei sich tragen. Mit 17. August den Zweitnamen „Israel“ (Männer) und „Sara“ (Frauen) annehmen. Per 5. Oktober wurden sie verpflichtet ihre Ausweise  mit einem roten „J“ abstempeln zu lassen.

Bei der „Polenaktion“ vom 27. Oktober, wurden etwa 18.000 Juden gewaltsam aus Deutschland nach Polen deportiert. Argumentiert wurde dieses Vorgehen damit, dass die Betroffenen durch die polnische Verordnung vom 9. Oktober, nach der alle Pässe für Polen, die länger als fünf Jahre im Ausland leben ohne Sondervisum per 30. Oktober ungültig seien. Polnische Grenzbeamte verweigerten den Menschen die Einreise, die deutschen Behörden deren Rückkehr. Die Folge war, dass tausende Menschen tagelang ohne Nahrung auf den Grenzbahnhöfen bzw. im Niemandsland unter verheerenden Bedingungen ausharren mussten.

 

Der 17-jährige Herschel Grynszpan erfuhr am 3. November in Paris, dass seine Familie vertrieben wurde. Mit einem Revolver bewaffnet schoss er am 7. November in der deutschen Botschaft auf den Botschaftsmitarbeiter und NSDAP Mitglied vom Rath. Vom Rath erlag am 9. November seinen Schussverletzungen.

 Dieses Attentat war für die NS-Führung ein willkommener Anlass um die geplante Ausschaltung und Beraubung der noch vorhandenen wirtschaftlichen Besitztümer jüdischer Mitbürger vorzunehmen.

In der Nacht des 9. November, gegen 22.00 Uhr, benutzte Goebbels das Attentat um vor den versammelten Partei- und SA-Führern gegen die „jüdische Weltverschwörung“ zu wettern und lobte im selben Atemzug die spontanen judenfeindlichen Aktionen im Reich. Die anwesenden Nazibonzen verstanden dies als unmissverständliche Aufforderung zum organisierten Handeln gegen jüdische Geschäfte, Wohnungen, Synagogen und Bethäuser. Die Leitung der Zerstörungen oblag den örtlichen Propagandaämtern der NSDAP.

Die Pogrome begannen um 23.00 Uhr im Deutschen Reich, und dauerten bis weit in den Tag des 10. Novembers.

In Österreich (Ostmark), begannen die Pogrome erst am 10. November. Dort wüteten die SA und die NSDAP-Mitglieder aber umso brutaler.

In Wien befanden sich 25 Synagogen und rund 70 Bethäuser. Nur in den Bezirken 12 und 15 befand sich weder eine Synagoge noch ein Bethaus.

Alle Synagogen bis auf die im 1. Bezirk, in der Seitenstettengasse, wurden zerstört, sämtliche Bethäuser erlitten dasselbe Schicksal.

In Kaisermühlen, damals noch 2. Bezirk, wurde das Bethaus in der Schüttaustrasse 45 ebenfalls gewaltsam ruiniert.

Die Bilanz nach dem Wüten durch die NS-Horden im damaligen gesamten Deutschen Reich war nach diesen zwei Tagen furchtbar. Mindestens 400 Menschen wurden ermordet bzw. starben an den Folgen ihrer schweren Verletzungen. Rund 30.000 jüdische Mitbürger wurden verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald inhaftiert. Durch die zerstörten Synagogen und Bethäuser war es vielen jüdischen Gemeinden nicht mehr möglich ihre Gottesdienste abzuhalten, sie mussten sich auflösen. Ihre Zusammenkünfte fanden dann meist in privatem Rahmen, soweit dies möglich war, statt. Nicht nur die Gotteshäuser waren vernichtet, sondern auch viele zeremonielle Gegenstände und wertvolle Thorarollen.

Die Perfidie und der Zynismus der braunen Machthaber fand aber bei einer Besprechung am 12. November unter Vorsitz von Göring einen weiteren Höhepunkt. Er schlug vor den Juden eine „Judenvermögensabgabe“ von einer Milliarde Reichsmark als „Sühneleistung“ für die „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“ abzufordern. Darüber hinaus wurden die Opfer verpflichtet die Schäden auf eigene Kosten zu beseitigen, ihre Versicherungsansprüche wurden vom Staat beschlagnahmt.

Mit 14. November wurde von Goebbels den Juden der Zutritt zu Theater, Kinos, Zirkus und anderen kulturellen Veranstaltungen verboten. Die Regierungsbezirke wurden ermächtigt Juden zu bestimmten Ortsbereichen den Zutritt zu verweigern bzw. zu bestimmten Zeiten zu verbieten. Ziel und Zweck war es die jüdischen Mitbürger optisch „verschwinden“ zu lassen und um ihre Existenz zu bringen. Alle diese Maßnahmen führten direkt zur Ermordung von rund sechs Millionen Menschen in Auschwitz, Treblinka und anderen Konzentrationslagern.

Dieses Verbrechen der deutschen und österreichischen Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten. Hier geht es nicht um „Selbstgeißelung“ sondern um Bewusstseinsmachung wozu der Mensch fähig ist.

Der Opfer zu gedenken und den Rechtsstaat sowie die Demokratie weiter auszubauen und vor allem gegen Menschenhass und Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen aufzutreten, die soziale Absicherung zu bewahren und auszubauen sowie Toleranz und Akzeptanz dem Gegenüber zu leben sind die wesentlichsten Elemente einer Verrohung der Gesellschaft zu verhindern.

Willi Soucek

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