„stadtUNbekannt“: Auf dem Rathaus-Dachboden – Von Liesing bis Aspern

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Auf Dach und Dachboden des Wiener Rathauses darf kaum jemand hinauf – dabei wartet dort weit mehr als nur ein Blick über die Stadt, der den Atem raubt: Im Inneren schlingen sich Wendeltreppen, liegen historische Schätze, thront ein ganzes Wikingerschiff.
Kaum hat der Chipschlüssel den Mechanismus entsperrt, zischen die Metalltüren zu. Das Treiben im Arkadenhof verstummt, die Kabine kommt zitternd in Bewegung, die Liftfahrt führt ins Dachgeschoss. Angekommen gleiten die Türen auf, Lichtschein erhellt die Umgebung: Holzgiebel strecken sich zur Decke, an der Wand lehnt ein Fahrrad.

Plastiksackerl, HC Artmann und Innenpolitik anno 1922

Eine Stahltüre weiter ist des Fahrrads Rätsel gelöst: Die MA 9, Wienbibliothek im Rathaus, hält hier Teile ihres Bestands. Und so manch sportlicher Archivar radelt ins Büro. Fünf Stockwerke über dem Rathausplatz stapeln sich Dokumente der Zeitgeschichte, mal in saalhohen Räumen, dazwischen in Verbindungsgängen voller Stellagen: HC Artmanns Sammlung liegt hier, Stadtparlaments-Protokolle aus den 1920er-Jahren und früher. Hier wurde der Inhalt Marcel Prawys berühmter Plastiksackerl in Kataloge gefasst. Im Regal stehen, ledergebunden, gesammelte Ausgaben der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ aus 1798.

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Von Liesing bis Aspern

Die Archive der MA 9 verlassen, öffnet sich eine Dachluke, kaum höher und breiter im Ausmaß als eineinhalb Meter. Gebückt geht es ins Freie, das Geräusch der Schritte klingt jetzt metallisch und hohl. Auf dem Blechdach des Rathauses geht es an Reihen von kaffeebraunen Schornsteinen entlang. Vor fünf Jahren wurde die Dachlandschaft saniert, Schieferplatten als Schindeln montiert, der Blechboden erneuert, die hunderten Schornsteine restauriert. Angelangt an der Ostseite des Hauses dann ein Ausblick, der im Gedächtnis bleibt: Die Augen gleiten hinunter auf den Rathausplatz, am Wiener Eistraum vorbei hinüber zur „Burg“; dahinter die Skyline der City, das bunte Lichterspiel des Wurstelpraters. An klaren Tagen lassen sich von hier sogar die Kräne der Seestadt Aspern bei ihrem Tanz beobachten.

Die Weisheit, in Stein gemeißelt

Außen, 40 Meter über dem Erdboden, geht es zum Hauptturm, den Figurengang entlang. Hier stehen Sandsteinfiguren in geduldiger Wacht: Hünenhaft blicken „Wappenträger der Vorstädte“ auf das Treiben am Rathausplatz hinab. Sie halten Schilde, welche sich – allein fast so groß wie ein Erwachsener – an die Mauern schmiegen. Daneben steinerne Vertreter der Zünfte, Wirte und Tuchmacher. Obwohl schon über 130 Jahre alt, strahlen ihre Körper makellos: Im Zuge der Fassadensanierung wurden und werden alle 78 Figuren aufgefrischt. Sensibel gehen Steinmetze mit Gerät über die Allegorien der Güte, der Weisheit, der Kunst; auf dem Sandstein verwischen sie die Spuren der Zeit.

Turmfalken unterm Rathausmann

Der Figurengang mündet in den höchsten Turm des Rathauses – 98 Meter neugotischen Profanbaus strecken sich hier gen Himmel. Durfte im 19. Jahrhundert doch kein weltliches Haus höher sein als die Votivkirche mit ihren 99 Metern, hat Architekt Friedrich Schmidt getrickst: Mit seinen 540 Zentimetern Körpergröße bringt der Rathausmann das Haus auf 103 Meter. Zu erklimmen ist der Turm nur über eine Wendeltreppe aus Stein, die letzten Meter zur Spitze gehen, Wind und Wetter ausgesetzt, über Eisenstufen – nur Fachpersonal und die Berufsfeuerwehr Wien dürfen dort hinauf. Wohler fühlt sich in diesen Höhen nur die Fauna. Braun gescheckte Turmfalken werden immer wieder auf den Dächern des Hauses gesichtet.

Ein Wikingerschiff, umgestülpt

Zurück im Figurengang geht es über eine Wendeltreppe zurück ins Gebäude – im Gänsemarsch, mit eingezogenem Kopf. Das Gemäuer ist schmal, die Decke erlaubt keinen aufrechten Gang. Richtung Arkadenhof schlucken stille Gänge die Schritte, Giebel aus Holz ragen empor, oben, im Finsteren, stützen sie das Dach. Es ist Baustoff vergangener Zeiten: Fertiggestellt 1883, wird das Rathausdach bis heute vom selben Holz getragen. Es hat eine Patina entwickelt, das Braun mäandert ins Schwarze, trotzt Hitze wie Kälte und hält fest.

Über dem Festsaal des Rathauses sitzt, von außen betrachtet, ein „Haus auf dem Haus“: Gelegen hinter dem Uhrturm und symmetrisch zwischen den Eckzinnen der Hochboden über dem Festsaal. Wie ein Wikingerschiff, gestrandet, ausgenommen und auf den Kopf gestülpt, wandern die Streben gen Decke. Es ist ein Saal von achtzig Metern Länge, zwanzig Meter breit. Aus Gründen der Statik steht diese Halle leer: Das Echo von Stimmen schwappt hin und her. Durch die Fensterluken dringen Lichtstrahlen herein, bilden Kegel, wandern mit den Minuten, beleuchten die Partikel in der Luft.

Hinab

Die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt der rathauseigene Paternoster. Nach Kriegsende 1918 in Betrieb gegangen, ist das Rathaus Heim für einen der beiden letzten Umlauflifte Wiens, die noch im Originalzustand erhalten sind. 1913 beauftragt, wurde der Aufzug damals freilich „nachgeordert“. Zur Grundsteinlegung 1872 war das Rathaus, bis heute Sitz der Stadtregierung und echtes Wahrzeichen Wiens, noch gasbetrieben. Auf Straßenniveau angelangt, geht der Blick noch einmal nach oben. 70 Meter über der Erde spielt der Westwind mit den Flaggen Wiens, Österreichs, der Europäischen Union.

Mehr „stadtUNbekannt“

Fotos und ein Video vom Rathaus-Dachboden online auf www.wien.gv.at/politik-verwaltung/rathaus-dachboden.html.

Die wien.at-Serie stadtUNbekannt zeigt versteckte Örtlichkeiten in Wien und ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen der Stadt. Alle bisherigen Geschichten online: www.wien.gv.at/kultur/chronik/stadtunbekannt.html.

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